2. Flaubert-Lecture: Referenzparadox? Über den epistemologischen Ort von Gustave Flauberts Romanen
von Hans Ulrich Gumbrecht, Stanford
28.10.2009 um 18:00 Uhr
Center for Advanced Studies, Seestraße 13
Kein anderer Autor des 19. Jahrhunderts hat Gegenstände so präzise beschrieben wie Gustave Flaubert, während sein Schreiben auf der anderen Seite kein Bild von mit sich selbst identischen Bezugsobjekten mehr erzielt. Dieses „Referenzparadox“, das Flaubert in den Äußerungen zu seinem eigenen Werk nicht ausdrücklich thematisierte, ist für Hans Ulrich Gumbrecht der Ausgangspunkt für eine Analyse seiner Romane und Erzählungen, in denen unterschiedliche Perspektiven auf scheinbar identische Bezugsobjekte einfach nebeneinandergestellt werden, ohne zu einer einzigen, homogenen Weltsicht zu führen. Gumbrecht geht hierbei von Michel Foucaults Diagnose der „Krise der Repräsentation“ als dem bedeutendsten epistemologischen Ereignis des 19. Jahrhunderts aus und wendet sie auf den literarischen Realismus an. Während die meisten anderen Autoren davon überzeugt waren, dass unterschiedliche Lösungen für diese Krise gefunden werden können, war Gustave Flaubert möglicherweise der erste Vertreter des literarischen Realismus, dessen Werk sich einem solchen Trost versagte.